Hamburg, Tor zur Medienwelt
Hamburg galt und gilt als absolute Medienmetropole, auch wenn der Glanz über die Jahre ein wenig verblasst ist. Inzwischen entwickelt sich die Hansestadt aber wieder zum Magneten für Medienschaffende einer neuen Generation. Dafür sorgt schon der next media accelerator, der für seinen neuen Batch vier internationale Startups engagiert hat. Die haben wir uns mal etwas genauer angeschaut.
Ob sie denn den durchaus ehrenwerten Beruf des Journalisten überflüssig machen wollten, diese Frage mussten sich die Jungs von Narrativa schon häufiger gefallen lassen. Natürlich nicht, ist dann stets die Antwort, im Gegenteil. Mit ihrer intelligenten Software wollen sie Journalisten ein Werkzeug an die Hand geben, das ihnen die Arbeit erleichtert und vielleicht sogar hilft, Stories zu schreiben, die sonst unveröffentlicht blieben. Dabei lernt das Programm von den Menschen die damit arbeiten, und entwickelt Schreibstil und Perspektive individuell.
Beispiel Fußball: Bei einem Spiel Bayern München gegen FC Barcelona entstehen tausende von Daten, über Torschüsse und Ballbesitz bis zu den gelaufenen Kilometer eines jeden Spielers. Nicht alle sind für jeden relevant; ein deutscher Reporter interessiert sich vermutlich mehr für die Lattentreffer von Thomas Müller, die spanische Kollegin eher für die Hackentricks von Lionel Messi.
Big Data hilft Journalisten beim Schreiben
Oder dessen Steuererklärung, denn Narrativa macht aus Big Data nicht nur Sportreportagen, auch Finanzen, Wetter, Verkehr, Gesundheit und Politik sind Themen für computergenerierte News. Mehr Demokratie ist das idealistische Ziel des Teams, das als Stammsitz Spanien angibt, aber ziemlich kosmopolitisch daherkommt. So lernte CEO David Llorente seinen anglo-amerikanischen COO Guy Hood ausgerechnet in Estland kennen. Unbedingt erwähnt werden müssen noch die beiden Masterminds und Mitgründer Antonio Moratilla und Eugenio Fernandez.
Mit Big Data beschäftigt sich auch der Bulgare Bozhidar Georgiev, und er will ebenfalls den Journalismus fitter für das 21. Jahrhundert machen. Mit seinem Startup Yatrus Analytics durchforscht er die Weiten des Internets, um neue Trends und Themen aufzuspüren, die bei einer konventionellen Recherche kaum oder nur verzögert zu finden wären. Echtzeitdaten von sozialen Medien sind eine wichtige Quelle, aber auch Blogs und lokale Berichte und überhaupt alles, was irgendwie eine Geschichte ergeben könnte.
Yatrus hatte die Story zuerst
Acht Mann stark ist das Team, alles ITler, in Hamburg ist zurzeit nur Bozhidar, der die Idee zu Yatrus während seines Studiums in England hatte. Ein eindrucksvolles Beispiel zeigt, wie die Algorithmen funktionieren. So hatten sie ein Zugunglück in den USA satte 30 Minuten vor den ortsansässigen Medien registriert und auch den negativen Einfluss der Katastrophe auf den Börsenkurs eines daran beteiligten Unternehmens berücksichtigt. Yatrus kann nicht nur dem Journalismus unterstützen, auch Unternehmen und staatliche Institutionen sollen damit frühzeitig auf entscheidende Entwicklungen aufmerksam gemacht werden.
Ganz schön clever das alles, aber auch ziemlich kompliziert. Wie wäre es zur Entspannung mit einem coolen Film oder einer tollen Serie? Gute Idee, aber bei dem Überangebot ist es schwer, die richtige Wahl zu treffen, und das Leben sei zu kurz, um sich Mist anzugucken, meint das Startup BAG movies aus Barcelona. Also hat es eine Social Media-Plattform geschaffen, auf der sich Kino- und TV-Fans austauschen können. Im Vergleich zu der Entertainmentdatenbank IMDB wird hier Interaktion viel größer geschrieben. Die User haben die Möglichkeit, unmittelbar zu kommentieren und kritisieren, die Kritiken mit „Clap“ oder „Boo“ zu bewerten und Freundeskreise zu bilden, auf deren Urteile sie sich verlassen können.
„Hamburg ist schöner als Barcelona“
Vom Gründerteam sind der Deutsche Ben Ickenroth und der Spanier Jaime Candau im Betahaus, dem Standort des next nedia accelerators. In ihrem Leben sind sie schon häufiger von Nord nach Süd und zurück gependelt, immer mit dem Versuch, Lebensqualität und berufliche Karriere in Einklang zu bringen. In Hamburg sei ihnen das jetzt so gut gelungen wie noch nie, sagen sie und loben ihre neue Heimat über den grünen Klee, sogar schöner als in Barcelona soll es hier sein. Vielleicht sind die Jungs einfach besonders höflich, aber wir glauben das trotzdem gern.
Narrativa, Yatrus und BAG movies – das sind die drei neuen Startups, die der next media accelerator (nma) Anfang März der Öffentlichkeit vorgestellt hat, nur wenige Wochen, nachdem die ersten vier Teilnehmer ihre finale Präsentation über die Bühne gebracht hatten (hier unser Bericht). 150 Bewerbungen waren für den zweiten Durchgang eingetrudelt, 150 weitere Kandidaten hat das nma-Team aktiv gescoutet. Dass am Ende keine deutschen Startups die finale Qualifikation geschafft haben, ist zwar Zufall, aber dennoch symptomatisch, denn der nma richtet sich bewusst noch internationaler aus als bisher, nicht nur europa-, sondern auch weltweit. Ein wichtiger neuer Partner dabei ist das Google News Lab.
Der next media accelerator hat drei Phasen
Die erste Phase, in der der nma aktiv wird, konzentriert sich allerdings vorerst noch auf Deutschland. In Hackathons, mit Fernsehsendern oder Lokalzeitungen veranstaltet, sollen junge Talente an die Medienwelt herangeführt werden. Die Phase 2 umfasst dann das eigentliche Accelerator-Programm mit dem umfassenden Coaching und einem riesigen Netzwerk. CMO Meinolf Ellers vergleicht das mit einem Aufzug, der die Startups erstmal in den dritten Stock bringt. Damit es aber noch wesentlich höher geht, tritt Phase 3 in Kraft, also die Betreuung auch über die eigentlichen sechs Programmmonate hinaus.
Die Tür für die aktuelle Runde ist übrigens noch nicht abgeschlossen, Nachrücker mit Potenzial sind jederzeit willkommen. Davon profitiert hat gerade PushApps aus Herzlia, nördlich von Tel Aviv. Auf dieses Startup war der nma während einer Israelreise aufmerksam geworden. Israel ist ein Land mit einer reichen Startup-Kultur und einer Einwohnerzahl, die als Zielgruppe zu klein ist für den ganz großen Erfolg. Deshalb ist der Wille zum internationalen Erfolg dort besonders groß. So auch bei Eilran Lazar, der zusammen mit drei Mitstreitern, die sich alle schon seit der Kindheit kennen, Push Notifications, also vermeintlich dringende Meldungen auf dem Smartphone, aufpeppt.
Noch mehr Erfahrung und Qualität als zuvor
Mit Erfolg: Die große israelische Tageszeitung Ma’ariv hat dank PushApps ihre Klickrate bei den Eilmeldungen glatt verdoppeln können. Um das zu erreichen, werden sie individualisiert und mit attraktiven Inhalten angereichert. Das Team von PushApps besteht nicht aus absoluten Frischlingen, wie überhaupt die neuen nma-Teilnehmer schon einige Erfahrung mitbringen. Ansehen und Qualität des Medien-Accelerators sind in den letzten Monaten noch gestiegen, was auch die hohe Zahl ausländischer Bewerber belegt. Nur die Investoren müssen da noch mehr mitspielen, weshalb der abschließende Demo Day nicht nur in Hamburg, sondern auch in Berlin stattfinden wird, wo das Geld etwas lockerer sitzen soll.
Bis dahin ist noch etwas Zeit, vorher ist für den Sommer ein Event unter dem Motto „Future of Digital Advertising“ geplant. Natürlich in Hamburg, denn AdTech ist ein Thema, das eine große Rolle in unserer Medienmetropole spielt. Es ist eben doch noch ganz schön viel Glanz in der Hütte.
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