So funktioniert Gründen als e-Resident in Estland
Estland hat weniger Einwohner als Hamburg, aber zehn Startup-Einhörner, und ist weltweit führend in Sachen Digitalisierung. Was können wir von dem kleinen Land im Nordosten Europas lernen und welche Möglichkeiten für Kooperationen gibt es? Antworten gab letzte Woche eine Veranstaltung, bei der das estnische e-Residency-Programm im Mittelpunkt stand.
Angela Merkel und Bill Clinton sind es und sogar Papst Franziskus: e-Residents von Estland. Für solche Personen der Zeitgeschichte hat diese digitale Quasi-Staatsbürgerschaft wohl eher symbolische Bedeutung, für viele Gründerinnen und Gründer hat sie handfeste Vorteile. Sie profitieren von einem Land, das seinen Bürgern bereits 2000 per Gesetz den Internetzugang garantiert hat und in dem es seit den Nullerjahren unter anderem möglich ist, online an Wahlen teilzunehmen und seine Steuern abzurechnen. Estland hat so eine weltweit führende Rolle bei der Digitalisierung eingenommen, die in manchen Punkten bis heute unerreicht ist.
Über 120.000 e-Residents aus 184 Nationen
Eine Besonderheit, die weit über die Grenzen Estlands hinausreicht, ist die seit 2014 angebotene e-Residency. Dabei handelt es sich um eine staatlich ausgestellte digitale Identität, die globalen Unternehmern Fernzugang zur digitalen Infrastruktur Estlands verschafft. Sie bietet die Möglichkeit, sich online zu authentifizieren und Dokumente mit sicheren elektronischen Signaturen zu unterschreiben. Und das Beste: Man kann Unternehmen zu 100 % online und von überall aus gründen. Mehr darüber erfahrt ihr hier.

2024 verzeichnete das Programm ein Rekordwachstum: 4.818 neue Unternehmen wurden gegründet. Im Laufe der letzten zehn Jahre gab es über 34.500 solcher Gründungen. Die Zahl der der e-Residenten aus 184 Nationen nähert sich der 124.000 an. 8.484 haben ihren Wohnsitz in Deutschland, davon sind 7.438 deutsche Staatsbürger. Damit liegt Deutschland auf Platz 2 im Ranking der Länder mit den meisten e-Residenten, und auf dem dritten Rang bei den Gründungen mit fast 3.000. (Alle Angaben Stand März 2025)
Estland ermöglicht Gründungen in Rekordzeit
Ein Grund dafür, diesen Weg mit seinem Unternehmen zu gehen, sind die kurzen Wartezeiten. Während die Beantragung und Genehmigung der e-Residency noch drei bis acht Wochen in Anspruch nimmt, kann die Gründung in ein bis zwei Tagen über die Bühne gehen, der Rekord soll bei knapp über 15 Minuten liegen. Auch danach geht vieles schneller und unkomplizierter als hierzulande, Papierkram ist in Estland in mehrfacher Hinsicht ein Fremdwort. Attraktiv ist das Modell vor allem für Startups mit internationalen Teams, die sowieso kein gemeinsames Büro haben.

Ein Beispiel für ein solches Unternehmen ist Etelätär Innovation, das COO Frida Kühl bei dem Event vorstellte. Sie selbst ist Deutsche, lebt in Spanien und gehört einem Team an, das in mehreren europäischen Ländern an nachhaltigen Mobilitätslösungen arbeitet. Sie erläuterte, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Konzept wie die e-Residency und damit verbundene Gründungen funktioniert. Dazu gehört ein Ökosystem, das Rechtssicherheit garantiert, unkomplizierte Steuerregeln hat und einfachen Zugang zu Kunden und Investoren ermöglicht. Das sei in Estland gegeben.
Was Hamburg und Estland zusammenbringt
Stichwort Zugang zu Investoren: Den verspricht auch die Konferenz Latitude 59, die vom 21. bis 23. Mai in der estnischen Hauptstadt Tallin stattfinden wird. Dieses Jahr werden über 4.000 Gäste aus 70 Ländern erwartet. Und wer sich für Direktinvestitionen in Estland interessiert, ist bei Enterprise Estonia an der richtigen Adresse. Mit Riina Leminsky gibt es sogar eine Ansprechpartnerin in Hamburg. Die Verbindungen zwischen der Hansestadt und dem baltischen Staat sind also bereits vorhanden und sollen weiter ausgebaut werden, wozu Veranstaltungen wie diese von Aufbruch Hamburg dienen können.

Was macht nun Estland als Startup-Land so außergewöhnlich und was kann man von ihm lernen? Darüber wurde eifrig diskutiert, unter anderem auch mit Andres Sutt, einem ehemaligen estnischen Minister für Energie und Umwelt. Dabei wurde betont, dass nicht alles, was in Esland funktioniert, 1:1 in Deutschland kopiert werden kann. Zu unterschiedlich sind schon die historischen Voraussetzungen. Und auch die Landesgröße spielt eine wesentliche Rolle. Wer mit seinem Unternehmen erfolgreich sein will, kann sich nicht auf einen Markt mit nur 1,3 Millionen Einwohnern beschränken. Zum Vergleich: Allein in Hamburg sind es um die 1,9 Millionen. Estnische Startups orientieren sich daher vom ersten Tag an international, weil sie es müssen.
In Zeiten zunehmender politischer und wirtschaftlicher Turbulenten, steht es aber auch Startups aus dem einwohnerstarken Deutschland gut zu Gesicht, früh über die Landesgrenzen hinaus zu denken. Vielleicht schon bei der Gründung als e-Resident in Estland.