Alle Schranken oben? Der internationale E-Commerce wird 2021 auf eine harte Probe gestellt
(WERBUNG) Ein Gastbeitrag von Dr. Roger Gothmann, Co-Founder und Geschäftsführer der Compliance-Plattform Taxdoo.
Was können wir trotz allem froh sein: Hätte uns die Pandemie vor 20 Jahren heimgesucht, wäre die größte Abwechslung wohl der Weg zum Supermarkt gewesen. Heute sind wir froh, dass wir immerhin die große weite Welt und ihre schönen Produkte mit ein paar Klicks zu uns nach Hause holen können. Funktionierende Handelsbeziehungen sind jedoch nicht nur aus Konsumentensicht etwas Gutes, sondern auch für Handeltreibende. Viele können gerade jetzt ihr Business dank internationalem Absatz aufrechterhalten oder sogar ausbauen.
EU-weite Reform: schon vor Inkrafttreten veraltet
Doch dass der internationale Handel ein fragiles Gut ist, wissen wir spätestens seit dem Vollzug des Brexit. Seit Januar dieses Jahres haben viele Handeltreibende den Export nach UK größtenteils eingestellt: zu komplex, zu unverständlich sind die neuen Regelungen, was Steuern und Zoll angeht. Dies sollte der EU eine Warnung sein, wenn nun im Juli eine EU-weite Umsatzsteuerreform in Kraft tritt. Reform klingt zunächst einmal gut, zumal es die erste in dieser Größenordnung seit Schaffung des Binnenmarktes 1993 ist. Doch leider ist die Reform schon veraltet, bevor sie überhaupt in Kraft tritt. Dem Wesen des modernen E-Commerce wird sie nicht gerecht. Handeltreibende sollten sich daher schon jetzt damit befassen, was demnächst allgemeingültig sein wird.
Warum überhaupt eine Reform? Der Ansatz ist per se gut: Wer Handel im Ausland betreibt, weiß, dass es bei Steuern & Co schnell unübersichtlich werden kann. Allein in der EU mit ihren 27 Staaten gibt es 10 verschiedene Umsatzsteuersätze, teilweise kommen diverse ermäßigte Sätze dazu. Bislang ist es so: Wer im Ausland Handel betreibt, muss im Auslieferungsland auch die Umsatzsteuer abführen. Wer das für verschiedene Länder macht, muss viel Zeit aufwenden oder braucht einen versierten Steuerberater.
Mit der anstehenden Reform soll alles einfacher werden. Zum einen gibt es für alle EU-Länder eine einheitliche Lieferschwelle. Das heißt: Wer Waren im Wert von mehr als 10.000 Euro im Jahr in die EU ausführt, muss ab diesem Betrag auch im Bestimmungsland Umsatzsteuer abführen. Bislang galten je nach Land unterschiedliche Schwellen, ab denen Steuer im Bestimmungsland gezahlt werden musste. Zum anderen und ganz wesentlich soll aber der sogenannte „One-Stop-Shop“ (OSS) Erleichterung bringen. Händler können über den OSS die Umsatzsteuer für sämtliche EU-Länder zentral abführen. In Deutschland wird das Bundeszentralamt für Steuern für den OSS zuständig sein. So weit so gut – doch der Teufel steckt im Detail. Denn der OSS kann nur genutzt werden, wenn die Lieferungen an Privatabnehmer gehen, und auch nur dann, wenn man aus einem heimischen Zentrallager verschickt. Ausgeschlossen werden also B2B-Lieferungen und alles, was wir inzwischen rund um „Just in time“-Lieferungen als Käufer schätzen gelernt haben.
Das Wesen von E-Commerce heute: “Just in time”
Das beste Beispiel dafür sind Marktplätze wie Amazon: heute bestellt, morgen da. Um das auch einzulösen, bedarf es einer ausgeklügelten Logistik. Beispiel: Wenn gerade in Spanien ein bestimmter Kopfhörer von einem deutschen Hersteller angesagt ist, wird Amazon möglichst viele davon in ein Lager in Spanien verbringen, damit die Käufer das Produkt möglichst schnell erhalten. Wenn zwei Wochen später die Nachfrage in Spanien spürbar nachlässt und in Frankreich steigt, wird Amazon die Ware eigenständig in ein französisches Zentrallager verbringen. Genau dafür wäre jedoch der OSS nicht nutzbar – eben weil die Lieferung nicht aus einem heimischen Zentrallager erfolgt. Handeltreibende müssten in diesem Fall also weiterhin ihre Umsatzsteuer eigenständig in Spanien oder Frankreich abführen.
Wenn die Reform jetzt schon veraltet ist: Wie wird es dann sein, wenn die Entwicklungen im internationalen E-Commerce wieder ein Stück weiter sind? Es sieht nicht danach aus, dass es noch zu Anpassungen kommen wird, bevor die Reform in Kraft tritt. Noch ist aber auch nicht sicher, ob überhaupt alle EU-Staaten die technischen Voraussetzungen für den OSS erfüllen können. Fakt ist jedoch, dass die Reform viele Handeltreibende vor enorme Herausforderungen stellen wird. Statt Erleichterung bringt die Reform viele Unwägbarkeiten mit sich – der Aufwand, alle steuerlichen Prozesse ordnungsgemäß abzuwickeln, dürfte sich sogar noch erhöhen. Immerhin bietet Technologie schon heute viele Möglichkeiten, Prozesse zu vereinfachen und zu automatisieren – damit Unternehmer sich auf das konzentrieren können, was wesentlich ist: ihr Business.
Autoreninfo:
Dr. Roger Gothmann ist Co-Founder und Geschäftsführer der Compliance-Plattform Taxdoo, über die Onlinehändler aller Größen ihre Umsatzsteuer im EU-Ausland sowie ihre Finanzbuchhaltung automatisiert abwickeln können. Roger hat viele Jahre für die Bundes- und Landesfinanzverwaltung im Bereich Umsatzsteuer gearbeitet und zuletzt die Steuerabteilung einer internationalen Forschungseinrichtung geleitet. Zu den Kunden von Taxdoo gehören Unternehmen wie Beiersdorf, Purelei, Yfood und air up.